Information ist ein Gemeingut, das die Unterstützung der Öffentlichkeit braucht

Das Interesse an qualitativ hochwertigen Informationen ist eine Sache von Vorlieben, Gewohnheiten und Lebenseinstellungen. Das ist der entscheidende Punkt. Was wären eine unabhängige Presse, exzellenter Journalismus, die Vielfalt des Verlagsangebots und das Wirtschaftswachstum der Medienunternehmen für unsere Demokratie, wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in der Lage wäre, in vollem Umfang davon zu profitieren?

Die Medienkrise ist kein vorübergehendes Phänomen. Es geht nicht nur um Technologie, Finanzen und Politik, sondern auch um Bildung und Kultur.

Das Funktionieren demokratischer Gesellschaften hängt von qualitativ hochwertigen Informationen ab. Wie Joseph E. Stiglitz zusammengefasst hat, ist Information ein Gemeingut, das als solches die Unterstützung der Öffentlichkeit benötigt.

Nun aber haben sich die Gewohnheiten des Informationskonsums durch die Entwicklung des Internets und der Digitalisierung der Kulturindustrie völlig verändert. Die sozialen Netzwerke und die digitalen Plattformen der globalen Internetgiganten sind dabei, alles mit sich zu reißen wie ein Tsunami. Was wären eine unabhängige Presse, exzellenter Journalismus, die Vielfalt des Verlagsangebots und das Wirtschaftswachstum der Medienunternehmen für unsere Demokratie, wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in der Lage wäre, in vollem Umfang davon zu profitieren?

Der Nachrichtenjournalismus ist in Gefahr, weil sich immer weniger Menschen regelmässig durch gute Informationen auf dem Laufenden halten und durch die Internetgiganten die das Publikum an sich ziehen. In der Schweiz sind heute fast 40% der Bevölkerung chronisch schlecht informiert («News-Deprivierte»), doppelt so viele wie 2009. Hinzu kommt aber noch der Anteil der Personen, die die Plattformen internationaler Medien bevorzugen. Zusammen betreffen diese beiden Gruppen, die kaum nationale und regionale Nachrichten zur Kenntnis nehmen, heute zwei Drittel (66%) der Bevölkerung (Forschungszentrum fög der Universität Zürich). Dieser Trend ist bei jungen Menschen besonders ausgeprägt*. Der Anteil der unterinformierten Digital Natives ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen, während das Publikum der traditionellen Medien eingebrochen ist. Vier Fünftel der 16- bis 29-Jährigen sind heute weit vom Nachrichtenjournalismus entfernt (47% im Jahr 2009).

Hingegen liegt der Anteil der Schweizer Bevölkerung, der viel Zeit damit verbringt, sich mithilfe einer breiten Palette von Medien über aktuelle politische, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Ereignisse zu informieren, bei etwa zehn Prozent. Diese Tendenz bleibt bei den jungen Menschen stabil. Dabei schneiden die Jugendlichen in der Westschweiz etwas besser ab ohne dass man sich erklären könnte, warum.

Das wachsende Desinteresse an nationalen und regionalen Nachrichten gefährdet den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Institutionen. Wie kann man Desinformation bekämpfen, wenn die Bevölkerung von den journalistischen Quellen abgeschnitten ist?

Das Interesse an qualitativ hochwertigen Informationen ist eine Sache von Vorlieben, Gewohnheiten und Lebenseinstellungen. Das ist der entscheidende Punkt, denn es handelt sich um eine Reihe von tief verinnerlichten Dispositionen (Habitus), die bereits in jungen Jahren von der Gesellschaft geprägt werden. Was kann man also tun, um junge Menschen zu erreichen? Die Antwort ist nicht einfach, denn es geht um das Einflussnehmen auf Lebensgewohnheiten.

Im Großen und Ganzen können wir zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen.
Die erste besteht darin, journalistisch attraktive Inhalte anzubieten und dabei die von Jugendlichen bevorzugten Verbreitungskanäle zu nutzen. Durch die Anpassung des Stils der journalistischen Inhalte an die aktuelle Jugendkultur (Themen, Standpunkt, Sprache, Atmosphäre) sollen Informationen auf unterhaltsame Weise vermittelt und Aufmerksamkeit erregt werden – um jeden Preis.

Aber kann man ein Ereignis oder eine Problematik durch kurze Videos von wenigen Sekunden Länge darstellen und kontextualisieren? Das darf bezweifelt werden. Außerdem unterwerfen sich die Nachrichtenmedien der undurchsichtigen Funktionsweise ihrer Empfehlungsalgorithmen.

Die Hoffnung der Medienunternehmen, das Publikum junger Leute dauerhaft für ihre Kanäle zu gewinnen, ist gering. Noch geringer, dass sich die Bereitschaft junger Leute, qualitativ hochwertige Informationen auszuprobieren, entwickelt.

Die zweite Möglichkeit, die Konsumgewohnheiten journalistischer Informationen zu beeinflussen, braucht Zeit. Sie geht davon aus, dass die Vorliebe für qualitativ hochwertige Informationen und die damit einhergehende Kritikfähigkeit das Ergebnis eines Lernprozesses sind. Die öffentliche Schule, die von allen Kindern besucht wird, ist der ideale Ort, um schrittweise die Vorliebe für hochwertige Informationen zu entwickeln und die Kinder mit guten Informationspraktiken vertraut zu machen. Isolierte Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Presse und die Medien können diese Herausforderung jedoch nicht bewältigen. Konkret wäre die Produktion und Verbreitung von Informationsinhalten, die von Kindern erstellt werden, wie z. B. eine Klassenzeitung oder ein Twitter-Feed, der ideale Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Allerdings müsste dies allen Kindern ermöglicht werden.

Von der Umsetzung relevanter Bildungsmaßnahmen, die mit Beharrlichkeit und auf Dauer verfolgt werden, hängt die Zukunft der Informationsmedien ab, die für das Funktionieren unserer Demokratie notwendig sind.

* Verweis auf meinen Artikel: «Danger ! Les médias d’information ont perdu le public des digital natives»


Stichwörter: Demokratie, Digital Natives, Digitalisierung, Journalismus, Medien, Medienbildung, Medienförderung, Medienkompetenz, Medienkritik, Medienpädagogik, Presse, Schule, Social-Media


Modèle pour citer cet article:
Domenjoz J.-C., «Information ist ein Gemeingut, das die Unterstützung der Öffentlichkeit braucht», Éducation aux médias et à l’information [en ligne], 24 mars 2023, consulté le date. https://educationauxmedias.ch/information-ist-ein-gemeingut-das-die-unterstutzung-der-offentlichkeit-braucht


Cet article concerne le domaine Médias, images et technologies de l’information et de la communication (MITIC) – Éducation aux médias et à l’information (EMI) – Media and Information Literacy (MIL) | Éducation numérique | educationauxmedias.ch

Auteur/autrice : Jean-Claude Domenjoz

Expert de communication visuelle et d’éducation aux médias